Skin Picking & Co.
Allgemeines über Skin Picking & Co
Das Wichtigste zuerst! Der Fachausdruck von Skin Picking & Co ist BFRBs (body-focused repetitive behaviors). Das sind körperbezogene, selbstschädigende, sich wiederholende Verhaltensweisen, die Menschen mit ihrem Körper machen.
Du kannst kaum noch damit aufhören, an deinen Haaren zu zupfen, an deiner Haut zu kratzen, deine Fingernägel zu kauen oder dir auf die Lippen und Wangen zu beißen? Diese Handlungen sind bei dir so stark und so häufig, dass du selbst dann nicht damit aufhören kannst, wenn du es unbedingt willst? Dann könntest du an BFRBs leiden.
Hier erfährst du alles Wichtige zu BFRBs. Egal wie stark BFRBs bei dir ausgeprägt sind – es gibt viele Dinge, die du tun kannst, um dich selbst zu unterstützen oder passende Unterstützung zu finden. Du musst also keine Angst haben, dich mit dieser Erkrankung auseinanderzusetzen.
Was sind BFRBs?
BFRB ist ein Überbegriff für mehrere psychische Erkrankungen aus dem Zwangsspektrum. Sie haben Ähnlichkeiten mit Zwangsstörungen – sind aber nicht dasselbe.
Betroffene wiederholen bestimmte körperbezogene Handlungen immer wieder – manchmal ganz bewusst, oft aber auch unbewusst und automatisiert. Manche machen es, wenn sie gestresst sind, andere merken es erst, wenn es schon passiert ist. Kommt es zu starkem Leid, Problemen im Alltag oder auch zu körperlichen Verletzungen, spricht man von BFRBDs: Das „D“ steht für „Disorder“, also eine Erkrankung.
Wichtig! BFRBDs zählen nicht zu selbstverletzendem Verhalten, auch wenn z. B. beim Skin Picking Wunden entstehen. Denn es geht dabei nicht darum, sich absichtlich zu verletzen oder sich selbst zu schaden. Die Handlungen haben meistens eine positive Absicht und passieren zudem oft unbewusst.

Wie erkenne ich BFRBs?
Die BFRBDs starten häufig mit dem Impuls, etwas besser zu machen, etwas zu beseitigen oder zu entfernen, das als störend empfunden wird. Wie eine innere Unruhe, die erst weggeht, wenn man an der Haut kratzt oder ein Haar rauszieht. BFRBs haben ganz konkrete Funktionen und einen wichtigen Nutzen. Sie sind meistens über eine lange Zeit erlernt und aufrechterhalten worden.
Sie dienen häufig dazu:
Langeweile, Stress und Druck abzubauen
Starke Gefühle oder schlimme Situationen zu ertragen
Kontrolle zu spüren, wenn alles um dich herum chaotisch ist
Sich überhaupt konzentrieren zu können
Sich ein Ritual zu geben, das zufriedenstellt
Dem Perfektionismus nachzugehen – sich selbst äußerlich zu optimieren, beeinflusst durch unrealistische Schönheitsideale
Bei Betroffenen sind die Handlungen so stark und so häufig, dass sie kaum noch aufhören können – selbst dann nicht, wenn sie es unbedingt wollen. Dann kann es zu starkem Leid, Problemen im Alltag oder auch zu sichtbaren körperlichen Verletzungen kommen.
Diese Merkmale können ein Hinweis dafür sein:
Du…
machst das Verhalten sehr oft und über längere Zeit.
Beispiel: Du kaust oder zupfst fast täglich, über viele Monate oder Jahre hinweg.erzeugst sichtbare Spuren an deinem Körper. Beispiel: Wunden, Entzündungen, Narben auf der Haut oder kahle, ausgedünnte Stellen im Haar.
kannst kaum damit aufhören, auch wenn du es willst.
hast vielleicht schon mehrmals versucht, es zu stoppen – aber es klappt einfach nicht.
vermeidest soziale Situationen aus Scham. Beispiel: weil du dich nicht zeigen willst im Schwimmbad, in der Schule, beim Treffen mit Freund:innen.
brauchst viel Zeit dafür oder es lenkt dich so sehr ab, dass du dich schlecht konzentrieren kannst. Beispiel: in der Schule, bei Hausaufgaben, beim Lernen oder bei Hobbys.
fühlst dich schlecht und leidest unter dem Verhalten und den sichtbaren und unsichtbaren Auswirkungen.
Für Betroffene ist es ein ständiger Kampf zwischen: „Ich will es nicht tun“ und „Ich muss es tun.“ „Es ist wie ein Teufelskreis: Je schlechter es mir geht, desto mehr mache ich es. Und je mehr ich es mache, desto schlechter geht’s mir.“
Achte also unbedingt auf die Merkmale deines Körpers und deiner Seele.

Welche Symptome können bei BFRBs auftreten?
BFRBDs können starken Druck verursachen – als wäre da ein innerer Zwang, der raus muss. Gewisse Trigger führen zu einem hohen Drang, das Verhalten auszuüben. Trigger können Orte (z. B. Badezimmer am Spiegel, Büro am Schreibtisch), Situationen (z. B. beim Fernsehen oder Nachdenken) oder Gefühle (z. B. Anspannung, Angst) sein. Beispiele für “typisches” Ausüben der körperbezogenen Verhaltensweisen:
Skin Picking (Dermatillomanie): ständiges Bearbeiten der Haut (z. B. Kratzen, Drücken, Zupfen), besonders im Gesicht, an Armen oder Beinen.
Hair Pulling (Trichotillomanie): zwanghaftes Ausreißen von Haaren, z. B. am Kopf, an Wimpern oder Augenbrauen.
Nail Biting / Fingernägelkauen (Onychophagie): starkes Kauen an den Nägeln oder der Nagelhaut, oft bis es weh tut oder blutet.
Lippen- oder Wangenbeißen: häufiges Kauen oder Beißen auf Lippen oder die Innenseite der Wangen.
Betroffene erleben diese Verhaltensweisen oftmals…
unbewusst und automatisch, wie ohnmächtig, wie in Trance
ohne ein Gefühl, wie lange oder wie oft sie das Verhalten ausüben
spontan und mit Kontrollverlust
machtlos und schwach
mit großer Scham
anstrengend und sehr erschöpfend gleichzeitig auch befriedigend und erleichternd
in Selbstabwertung, Selbstbeschuldigung und Selbsthass
Sollten manche dieser Symptome auf dich zutreffen und mindestens 6 Monate vorliegen sowie dich in deinem Alltag einschränken, solltest du dir unbedingt professionelle Hilfe suchen.
Wichtig ist, dass nur ein:e Fachärzt:in oder Psychotherapeut:in feststellen kann, ob du wirklich unter BFRBs leidest. Die Symptome von vielen psychischen Krankheiten sind ähnlich und für Betroffene schwer zu unterscheiden.

Was sind die Ursachen für BFRBs?
BFRBDs kann jede:r bekommen. Sie haben nichts mit Charakterschwäche oder mangelnder Disziplin zu tun. Manche Menschen haben jedoch eine erhöhte Anfälligkeit – wie auch bei anderen psychischen Erkrankungen. Es gibt viele mögliche Ursachen – oft ist es eine Mischung aus mehreren Faktoren:
Familiäre Veranlagungen (z. B. andere Familienmitglieder üben körperbezogene Verhaltensweisen exzessiv aus)
Schwere Lebenskrisen (z. B. der Verlust eines Elternteils, Mobbing)
Traumatische Erfahrungen (z. B. Unfälle, Gewalt, toxische Beziehungen)
Gewisse Erziehungsstile (z. B. Angst, Fehler zu machen oder Kontrolle zu verlieren)
Weitere Zusammenhänge:
Ausgeprägter Perfektionismus
Neurodivergenz, z. B. ADHS – Viele Menschen mit ADHS nutzen körperbezogene Verhaltensweisen als Bewältigungsstrategien
Körperdysmorphe Störung – Viele Betroffene konzentrieren sich stark auf ein Körpermerkmal, das sie als „hässlich“ empfinden, auch wenn andere es nicht bemerken. Das verursacht großen Leidensdruck.
Wichtig: BFRBs sind ernstzunehmende Erkrankungen – und sie sind behandelbar. BFRBs können nicht einfach abgestellt werden. Sie erfüllen wichtige Funktionen. Die Haut ist eng mit dem Belohnungszentrum im Gehirn verknüpft. BFRBs haben nichts mit “Verrückt-sein” zu tun haben. Oft sind diese Muster behandelbar und führen dann zu einer deutlich gesteigerten Lebensqualität der Betroffenen.

Was hilft bei einer Stigmatisierung von BFRBs?
Es ist natürlich nicht angenehm, dir bewusst zu werden, dass du unter BFRBs leiden könntest. Versuche, dir klarzumachen, dass du nichts dafür kannst, sondern dass sich eine psychische Erkrankung entwickelt hat. Du musst dich dafür nicht schämen. Versuche, dir die folgenden Dinge ins Gedächtnis zu rufen:
können bei jedem Menschen und in jeder Lebensphase plötzlich auftreten.
Circa 1-2% der Jugendlichen und jungen Erwachsenen leiden unter BFRBs. Vermutlich läufst du täglich an Betroffenen vorbei, ohne dass du es weißt.
Betroffene können beschwerdefreie Phasen haben. Die Störung ist oft nicht konstant.
Je früher BFRBs erkannt werden, desto besser können sie behandelt werden.
Je mehr Menschen sich trauen, über BFRBs zu reden, desto weniger müssen Betroffene unter Schamgefühlen leiden, weil sie denken, etwas mit ihnen sei nicht in Ordnung. Denn das stimmt so nicht! Du bist absolut in Ordnung so, wie du bist. Deine BFRBD ist es aber nicht.

Gibt es Tipps, wenn ich betroffen bin?
Diese Tipps können dir helfen, wenn du das Gefühl hast, du könntest an BFRBs leiden. Probiere sie einfach aus, denn sie können dir nicht schaden! Wenn du jedoch merkst, dass sich deine Situation nicht verbessert, solltest du dir unsere Hilfsangebote anschauen.
BFRB-Tagebuch
Ein Tagebuch kann dir helfen, dein Verhalten besser zu verstehen. Erkenne deine Muster, um Dinge zu verändern. Stell dir hierzu die Fragen: Wann tritt das Verhalten häufig auf? Wo bist du dann – zu Hause, unterwegs, vor dem Spiegel? Passiert es bewusst oder automatisch? Was denkst und fühlst du davor, währenddessen und danach?Situationen anpassen
Manche Situationen oder Orte verstärken den Drang oder lösen das BFRB Verhalten aus. Deshalb kann es helfen, diese Situationen bewusst zu verändern: Hänge Spiegel ab oder meide grelles Licht, wenn es dich triggert. Trage Handschuhe oder Pflaster, um dich vor unbewusstem Verhalten zu schützen. Nutze Hydrokolloid-Patches als Schutz und Unterstützung zur Wundheilung. Binde deine Haare zusammen oder trage Kleidung, die sich angenehm anfühlt, um Trigger zu vermeidenFidget-Toys oder Ersatzhandlungen nutzen
Beschäftige deine Hände mit Dingen, die dich nicht verletzen – zum Beispiel: Fidget Cubes, Knetmasse, Akupressurringe oder Anxiety Rings. So kannst du Anspannung abbauen und den Drang umlenken.Achtsamkeit & Ausgleich schaffen
Stress ist oft ein Verstärker. Achtsamkeit hilft dir, besser mit Stress umzugehen – und dadurch oft auch mit dem Verhalten. Bewegung, Sport oder ein Spaziergang helfen, wenn du viel gesessen hast. Achte darauf, was dir Energie gibt – und was dir eher schadet. Atemübungen, Meditation oder Yoga können dich stabilisieren.Mit anderen Betroffenen austauschen & Vorbilder suchen
Du bist nicht allein. Folge Menschen auf Social Media, die offen über BFRBs sprechen. Vernetze dich in Selbsthilfegruppen – online oder vor Ort. Lies Bücher wie „Frieden mit meiner Haut“ oder höre Podcasts wie „skinteresting“ oder „bfrb.care“
Achtung: Wenn du durch Skin Picking oder andere Verhaltensweisen stärkere Verletzungen hast, dann lass diese Wunden unbedingt ärztlich versorgen. Suche eine:n Dermatolog:in oder andere Ärzt:innen auf.

Gibt es professionelle Hilfe, die ich aufsuchen kann?
BFRB ist eine psychische Erkrankung, die du nicht selber heilen kannst. Du hast einige der Symptome schon über einen längeren Zeitraum, die dich spürbar in deinem Alltag einschränken? Dann hat es Sinn, etwas dagegen zu tun. BFRBs sind gut behandelbar, nachdem sie offiziell diagnostiziert wurden. Es gibt verschiedene Optionen für dich, die wir hier und auch im Bereich "Hilfsangebote" für dich zusammengefasst haben. Im "Hilfekompass" findest du, in welcher Situation welche Hilfe für dich sinnvoll ist. Außerdem findest du auch ganz konkrete Anlaufstellen, die du direkt über die App kontaktieren kannst!
Grundsätzlich gibt es für dich folgende Optionen:
Stufe 1: Sprich mit deinen Eltern oder deinen Freund:innen über deine Situation. Wenn du dich ihnen gut anvertrauen kannst, erzähle ihnen, dass es dir schlecht geht und du eventuell unter BFRBs leidest.
Stufe 2: Suche ein Beratungsangebote auf. Es gibt viele kostenlose und gute Beratungen, die dir weiterhelfen können. Neben Beratungen in deiner Nähe gibt es auch Online- und Telefonangebote. Alle findest du im Bereich "Hilfsangebote".
Stufe 3: Suche ein:e Ärzt:in auf. Sowohl dein:e Hausärzt:in als auch Psychotherapeut:innen können feststellen, ob es sich bei den Symptomen wirklich um BFRBs handelt. Eine vollständige Liste findest du auch im Bereich "Hilfsangebote" (Stufe 3).
Stufe 4: Wenn du über mehrere Monate an BFRBs leidest, ein normales Leben nicht mehr möglich ist und du schon die ersten 3 Stufen ausprobiert hast, kommt auch eine (teil-)stationäre Psychiatrie infrage. In diesen speziellen Krankenhäusern wird sich intensiv um dich gekümmert und ein Weg aus der Krankheit erarbeitet.
Wichtig ist nur, dass du dich traust, etwas gegen deine Krankheit zu unternehmen. Nur so kannst du auch langfristig wieder gesund werden.